Mit dem Jonglierguru mitten im Nirgendwo

Vor fast drei Jahren, bei der größten Jonglierconvention, traf ich ihn erstmals. Da saß er in einem der Händlerzelte mit einem Stapel bunter Bücher vor sich, auf Italienisch und Deutsch.

'Pearls of Juggling' heißt sein Werk, 'Perlen des Jonglierens'.

Es fasst in kurzen Kapiteln seine über 20-jährige Erfahrung mit Jonglieren, Yoga und anderen Bewegungsformen zusammen – wunderschön und kreativ illustriert von Zeichnungen italienischer Kunststudenten.

Seither habe ich sein Buch zwei bis drei Mal gelesen und mehrere Kurzworkshops auf Conventions mit ihm besucht.

Er, das ist Anthony Trahair. Ursprünglich britisch, Absolvent von Dimitris Clownsschule in der Schweiz und seit vielen Jahren mit seiner Frau in Italien lebend.

Mit seinem Vollbart wirkt er auf den ersten Blick älter als 43, doch dieser Eindruck wird schnell revidiert, wenn man ihn jonglieren und sich bewegen sieht. Für ihn gehört beides zusammen.

Und so war der Titel des fünftägigen Workshops 'Movement & Juggling' – bewusst offen gehalten.

So kam es, dass ich zunächst mit dem Nachtzug nach Rom reiste, wo ich eine Nacht in Anthonys Wohnung verbrachte. Am Tag darauf ging es über Florenz in die bergige Natur oberhalb eines kleines Dörfchens in der Toskana. Wo wir diese Tage verbrachten sollten, das war im Grunde eine Art Seminarhaus, umgeben von Wald, an einer Bergkuppe, verwaltet von ein paar nebenan lebenden Menschen. Oder, wie Anthony sagte: „In the middle of nowhere“, mitten im Nirgendwo. Und damit der perfekte Ort für diesen Workshop.

Wir waren nur fünf Teilnehmer – neben mir noch drei Jongleure und eine Jongleurin, alle Italiener oder des Italienischen mächtig. Wir alle brachten unser „Päckchen“ aus dem Alltag mit, unsere Sorgen, Gedanken und Probleme, die auch vor einem so abgelegenen Ort nicht Halt machen. Gerade in den häufigen Yoga- und Meditationseinheiten fällt es schwer, nichts zu denken.

Doch kam diese Auszeit vom Alltag gelegen.

Das bedeutete jedoch keinesfalls Entspannung.

Im Gegenteil: Zu Hause kann ich eigentlich immer spät aufstehen, meist zwischen 9 und 11 Uhr.

Dort gehörte es zum Programm, um 7 Uhr noch vor dem Frühstück spazieren zu gehen, hinein in den Wald, durchs Gestrüpp und über Baumstämme, bis wir an einer besonnten Aussichtsstelle Halt machten, um unsere morgendlichen Qui Gong- Übungen zu praktizieren. Durch dieses Erwecken des Körper, die frische Luft und die Sonne fiel das Wachwerden viel leichter.

Anschließend ging es zurück ins Seminarhaus, wo wir uns ein gesundes Frühstück zubereiteten. Dieses war, wie alle Mahlzeiten der Woche, von vornherein komplett vegan, was mir sehr entgegenkam.

Den weiteren Vormittag nutzten wir zum Jonglieren. Jedoch mit Blick auf eine bessere Körperwahrnehmung, das Finden neuer Wege und Variationen. Insgesamt ein Jonglieren mit dem ganzen Körper statt nur mit den Armen.

Nach einem einfachen, aber nahrhaften Mittagessen und einer ausführlichen Mittagspause ging es an den Tagen jeweils mit verschiedenem Programm weiter: Die Verbindungen zwischen Körperteilen beim Jonglieren wahrnehmen, tanzend improvisieren, drops lernen zu nutzen und flüssig einzubauen (drop: wenn ein Requisit runterfällt) und Starts und Enden der Jonglage sowie Trickvarianten zu finden. Auch in Partnerarbeit und in der Gruppe erarbeiteten wir uns Tanzsequenzen, bauten Jonglierrequisiten ein, zeigten sie uns gegenseitig und sprachen viel miteinander, sodass ein enges Miteinander und große Vertrautheit in dieser kleinen Gruppe entstand.

Jede Einheit beendeten wir mit einem Warm Down aus Yogaübungen oder auch einmal Thaimassage sowie Meditation.

Viele, viele „OOOOOMMMMM“s begleiteten uns in diesen Tagen, ob im Übungsraum oder als Ritual vor dem Essen.

Mir half der Workshop neben den neuen Inspirationen vor allem dadurch, dass mir (wieder) klar wurde, wie ich mein Jonglieren interessanter und spannender machen und mit mehr Körperbewusstsein verbinden kann und was ich (besser) in meinen Alltag integrieren will.

Eine Art Kulturschock waren am Abreisetag die vielen Menschen im voll gefüllten Florentiner Bahnhof. Nach 4 Tagen Ruhe mitten in der Natur unter wenigen Menschen kamen mir die eilenden Menschen ein bisschen wie Maschinen vor.

Noch eine weitere Nacht verbrachte ich bei Anthony in Rom, ehe am Samstag der Weltjongliertag anstand. Zumindest ein Stündchen davon machte ich in einem großen Park mit italienischen Jongleuren noch mit, viele auf dem Einrad. So liefen wir als jonglierende Parade durch den Park, ehe es für mich mit dem Flieger zurück nach Stuttgart ging.

Hier noch ein Link zu einem Erklärvideo unserer Qui Gong Übungen, ein gutes Warm Up fürs Jonglieren und Allgemein:
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Ausblick vom Übungsraum im Seminarhaus
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Chris Blessing
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