Meine Zeit im klassischen Zirkus

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Das ist nicht etwa mein eigener Zirkus, obwohl es von den Initialien her passen würde ;)

In den vergangenen Sommerferien habe ich erstmals die Erfahrung gemacht, mehrere Wochen am Stück bei einem Event aufzutreten. Fünf Wochen lang war ich Artist in einem für die Ferien zusammen gestellten Zirkusprogramm, das Besucher eines Möbelhauses anlocken und unterhalten sollte.

An sechs Tagen in der Woche machte ich mich auf den Weg nach Neu-Ulm, um dort jeweils zwei Shows zu spielen. Eine Show dauerte nur etwa 35 Minuten, wovon ich etwa die Hälfte der Zeit allein in der Manege spielte. Dabei jonglierte ich auf eher komische Weise mit Hüten und drehte Teller an, gab mit Ringen, Bällen und Leuchtkeulen den Tempojongleur und spielte über etwa die Hälfte der fünf Wochen auch den Zirkusclown in einer kleinen und einer großen Reprise zwischen den artistischen Nummern. Zeit zum Ausruhen blieb während der ganzen Vorstellung nicht, da ich bei einer Ziegennummer die Akteure halten durfte und während der Hochseil- wie auch der Hula Hoop- bzw. Strapatennummer meine nächste Nummer vorbereiten bzw. mich umziehen musste.

Als eigentliche Artisten waren wir dabei nur zu zweit.

Fast alle anderen Mitarbeiter bei diesem Event kommen aus Zirkusfamilien und kennen daher nichts anderes, als das dies ihre Arbeit ist. Diesen wesentlichen Unterschied habe ich gleich bemerkt, denn ich musste mich erst bewusst und gegen Bedenken, aber entsprechend meiner Leidenschaft für den Beruf des Artisten entscheiden. Ist man jedoch in einer Zirkusfamilie aufgewachsen, so kann die Arbeit dort wohl ähnlich selbstverständlich sein wie für Andere ihr Bürojob. Und das ist, bei der Anzahl an absolvierten Auftritten, natürlich nachvollziehbar.

Schon, als ich von der Möglichkeit, in diesem Zirkus zu spielen, erfahren habe, hatte ich meine starken Zweifel, ob dies mein Ding ist. Doch um der Erfahrung willen habe ich mich auf das Angebot eingelassen, zumal in fünf Wochen auch etwas an Gage zusammen kommt.

Ich muss zugeben: Allzu sehr war ich nicht überrascht von der sehr klassischen Aufmachung, sei es durch ein bunt gestaltetes Zirkuszelt, die Musik während des Einlasses (in der Zeit verkaufte ich mit einem Bauchladen Leuchtspielzeuge) und die Begrüßungsansage, mit der das Publikum, vor allem aus Kindern mit Begleitung bestehend, in die Traumwelt des Zirkus entführt werden sollte.

Inhaltlich gestaltete die sich so, wie der deutsche Durchschnittszirkusgänger es erwartet, mit dem Vierklang aus elegant-weiblicher Bewegungskunst, albernem Clown, possierlichen Tierkunststücken und rasanter Jonglage, wobei ich in die Rolle des Tempojongleurs erst hineinfinden musste. Wie der Name schon sagt, geht es bei dieser Art von Jonglage um Geschwindigkeit, technische Leistung und Fähigkeiten sowie natürlich die Art, sich „zu verkaufen“, also die Präsentation. Ziel ist es, das Publikum zum Staunen zu bringen, ja zu beeindrucken ob der Fähigkeiten des Jongleurs und der selbstsicheren Art, mit der er diese präsentiert. Von meiner zumeist praktizierten Art der Jonglage als Alleinunterhalter bei Festen oder auf der Straße war es schon eine Umstellung, gerade in Sachen Kostüm und Musik. Im Gespräch mit einer Mitarbeiterin habe ich erfahren, dass diese Art von Jonglage in klassischen Zirkussen jedoch rückläufig ist. Grund hierfür sei die immer weitere Verbreitung von Jonglieren als Hobby, gerade bei Kindern und Jugendlichen, was sich mit meiner Erfahrung deckt. Dadurch werde die 5 Ball-Jonglage eines Tempojongleurs weniger wert geschätzt als früher. Dazu kommt meiner Meinung nach die schnelle visuelle Erreichbarkeit von Höchstleistungen und Unterhaltung übers Internet. Sprich: Um einen Weltklasse-Jongleur zu bewundern, braucht man sich keine teuren Weltweihnachtszirkus-Karten mehr kaufen. Er ist nur wenige Klicks entfernt.

Überhaupt haben es klassische Zirkusse heute nicht leicht: Zwar sind sie in Deutschland, im Gegensatz etwa zu westeuropäischen Ländern, immer noch sehr prägend für das Zirkusbild der Menschen. Jedoch sind viele Familienzirkusse heute wenig rentabel und kämpfen ums Überleben. Hinzu kommt zunehmende berechtigte Kritik und gesellschaftliche Sensibilität gegenüber der Haltung vor allem von Wildtieren zu Unterhaltungszwecken. Doch gerade Tiere sichern Zirkussen das Überleben, denn sie kosten keine Gage und locken viele Menschen an.



Auf der anderen Seite wächst auch in Deutschland eine immer größere moderne Zirkusszene heran, auch als 'Neuer Zirkus' bezeichnet, die den vor allem auf Leistung und Beeindrucken ausgerichteten Familienzirkussen künstlerisch ambitionierte Programme entgegensetzt, die auch schon mal das Gegenteil von einer fernen Traumwelt darstellen, nämlich sich mit der Gesellschaft kritisch auseinandersetzen.

Das Spektrum ist hier jedoch viel größer als im klassischen Zirkus.

Anhand von Jonglage kann man vielleicht sagen: Ein moderner Jongleur besticht mehr durch seinen (authentischen) Bühnencharakter und die Art und Weise, wie er durch seine Bewegungen und mithilfe der Requisiten etwas darstellt, vielleicht eine Geschichte erzählt oder Teil eines größeren Ganzen ist – und weniger durch bloße Leistung. Dadurch ist es auch leichter, sich von eher technisch orientierten (Internet-)jongleuren abzuheben, zumal der Live-Charakter moderner Nummern sehr bedeutsam ist. Das Video einer modernen Nummer erzeugt nur schwerlich die Stimmung und Gefühle, die ihre Live-Performance auslöst.



Doch zurück zu meinem Zirkusengagement in den Ferien: Die Erfahrung war es in jedem Fall wert und so manche Tricks wurden in der Zeit auch sicherer. Jedoch habe ich schnell gemerkt, das es mentalitätsmäßig riesige Unterschiede gibt zwischen den dortigen Zirkusmenschen und mir. Nun sollte man einerseits als hauptberuflicher Jongleur auch mal so pragmatisch sein und einen Job annehmen, der nicht zum eigenen künstlerischen Anspruch passt. Ich halte das in finanziell schwierigen Situationen für angebracht, wenngleich die Gage diesmal grenzwertig war.

Auf Dauer erfüllt die Arbeit in diesem Rahmen jedoch nicht meine von der künstlerischen Arbeit erhofften Glücksvorstellungen, weshalb das Kapitel 'Klassischer Zirkus' hiermit beendet ist.
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Chris Blessing
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