Mein Weg zum Künstler

Seit einigen Wochen nenne ich mich hauptberuflich Künstler. Dies verwende ich als Überbegriff für meine spezifische Tätigkeit als Artist, die sich wiederum vor allem in der Disziplin der Jonglage zeigt – gleich drei Begriffe, die es zu unterscheiden gilt. Wenn ich von Jongleuren, Artisten und Künstlern spreche, meine ich selbstverständlich auch alle Jongleurinnen bzw. Jongleusen, Artistinnen und Künstlerinnen. Ich gehe systematisch vor und beginne beim engsten Begriff, dem des Jongleurs. Hier kann man zunächst historisch an die Sache herangehen: Die älteste vorhandene Quelle zur Jonglage, eine Abbildung von vier jonglierenden Frauen aus dem Alten Ägypten, ist fast 4000 Jahre alt. Auch in den antiken Reichen Griechenlands, Roms und Chinas waren Jongleure bekannt. Im Mittelalter gerieten sie etwas in Verruf und wurden leicht mit Tagedieben gleichgestellt. Auf der anderen Seite waren sie vermutlich Helfer und Begleiter der Troubadoure, die in Deutschland Minnesänger heißen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, kurz nach Entstehung des modernen Zirkus, fanden Jongleure auch dort Arbeit. Auch auf Kleinstkunstbühnen und in Varietés verdienen viele von ihnen nach wie vor ihr Geld. Im 20. Jahrhundert kam der Gentleman-Stil auf, wobei Jongleure im feinen Anzug mit Alltagsgegenständen wie Hut, Stock und Zigarre jonglierten.

Seit den 1970ern erlebt die Jonglierszene eine Blüte, weil sie sich nicht mehr nur auf professionelle Künstler beschränkt, sondern sich als privates Hobby verbreitet. So gründeten sich zwei große internationale Jonglierorganisationen in den USA und in Europa und es entstanden immer mehr regelmäßig stattfindende Conventions, mehrtägige Treffen, die als Plattform zum Austausch und zur Präsentation von Nummern und Shows dienen. Heute gibt es allein in Deutschland jährlich locker ein Dutzend solcher Conventions, europaweit noch viele mehr. Die weltweit größte, die European Juggling Convention, findet jährlich in einem anderen europäischen Land statt und lockt bis zu 7000 Teilnehmende an. Über Jonglierconventions habe ich bereits für die Geislinger Zeitung einen Artikel geschrieben.
Gleichzeitig wuchs die Zirkuspädagogik heran, die auch mich wesentlich prägte. So entstanden etwa seit den 1980ern in Deutschland mehr und mehr nicht-professionelle Zirkusgruppen, vornehmlich für Kinder und Jugendliche – sei es in Schulen, Vereinen oder Kirchen.
Wir Jongleure besitzen übrigens durchaus Humor und können über diese "Hommage" von Sebastian Krämer lachen: Die Welt braucht keine Jongleure.

Es existiert auch ein Markt für Zirkus- und Jonglierartikel mit einigen Unternehmen und Händlern in Deutschland wie etwa Pappnase und Henrys, um nur zwei der größten zu nennen.

Das Jonglier-Universum ist heute sehr vielseitig – es reicht vom Hobbyjongleur bis zum einen Weltrekord haltenden Sportjongleur, von klassischen Zirkusjongleuren bis zu modernen Jongleuren. Man kann jonglieren, um andere zu unterhalten, um Rekorde zu brechen, nur für sich selbst oder als Mittel der sozialen Interaktion.

Nun spreche ich die ganze Zeit von Jongleuren. Dabei ist unter diesen selbst nicht so klar, was das eigentlich bedeutet – Jonglieren. Nun könnte man etymologisch vorgehen und den lateinischen ioculator als 'Spaßmacher' nennen, die verwandten deutschen Wörter 'Jux' und 'Gaukler' oder die mir sehr sympathische Wortähnlichkeit zum Spielen im Italienischen (giocare – giocolere für spielen – jonglieren). Im Englischen bedeutet 'juggle' neben 'jonglieren', etwas zu manipulieren und wird auch fürs Zaubern verwendet. Und die 'Jugglery' ist das Gaukelspiel oder die Gaukelei, was mit der Redewendung „etwas vorgaukeln“ an Illusionisten denken lässt.

Man merkt: Die Frage, was es bedeutet, ein Jongleur zu sein, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Nur so viel: Ein Jongleur ist eine Person, die jongliert. Das klingt banal, jedoch stellt sich dann die Frage: Was genau tut man beim Jonglieren? Was zählt dazu und was nicht? Auf Wikipedia findet man die gängige Einteilung des Jonglierens auf zwei Arten: Im engen und alltagssprachlich meist verwendeten Sinn bedeutet Jonglieren Wurfjonglage von einem oder mehreren Gegenständen. Klassischerweise sind dies Bälle, Ringe, Keulen oder Tücher, aber auch das Werfen und Fangen von Äpfeln, Sägen oder anderen Alltagsgegenständen würden die meisten Menschen als Jonglieren bezeichnen.

Im weiten Sinne, und diesen verwende ich, umfasst Jonglieren jedoch viel mehr: Es wird definiert als Objektmanipulation. Dazu gehört das Spiel mit dem Diabolo, mit Zigarrenkisten, Pois und auch das Schwingen von Hula Hoop-Reifen. Ein Rattenschwanz an weiteren Jonglierdisziplinen schließt sich an. Die Grenzen dieser weiten Definition sind schwer zu ziehen und darüber wird derzeit intensiv in der größten Jongleurcommunity auf Facebook diskutiert, doch das soll hier nicht Thema sein.

Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass Jonglieren heute sehr vielseitig ist. Leider denken viele Menschen bei dem Thema immer noch zuerst oder nur an lustige Zirkusjongleure, vielleicht gar Clowns, die ein paar Bälle im Kreis herum werfen. Die angehängte Zeichnung verdeutlicht das. 6x4 ist hier ein bestimmtes Jongliermuster mit fünf Bällen.

Jonglieren kann man, wie schon oben erwähnt, auch einfach nur für sich oder mit Freunden, weil es Spaß macht. Man muss dabei gar nicht an Aufführungen geschweige denn Geld verdienen denken. Jonglieren kann man auf sportliche Art tun, als Wettkampf (um Rekorde) gegen Andere, oder aber in kontemplativer, vielleicht gar meditativer Art und Weise. Es hat gesundheitliche Komponenten und viele Vorteile für Körper und Geist sowie auf psychologischer und sozialer Ebene – deshalb ist es auch in der Zirkuspädagogik so wichtig und beliebt. Man hat herausgefunden, dass dabei sogar graue Zellen im Gehirn nachwachsen und Gedächtnisweltmeister nutzen Jonglieren zur geistigen Einstimmung vor Turnieren.
Also, worauf wartest du noch?

Wenn ich jongliere, und dies tue ich fast täglich, oft in der Öffentlichkeit, dann ist es interessant, aber bisweilen auch ermüdend, die Reaktionen der Leute zu beobachten. Beispielhaft wird dies im Foyer der Stuttgarter Universität in der Stadtmitte, das aufgrund seiner räumlichen Eigenschaften (große Fläche, sehr hohe Decke) von vielen Jongleuren genutzt wird – man könnte uns als die Unijongleure bezeichnen. Oft bin ich nachmittags dort und werde von vielen Leuten gesehen. Negative Reaktionen gab es zum Glück bisher keine. Aber von belustigten Blicken über Lob und Applaus bis hin zum Ansprechen ist alles dabei. Zwei Mal habe ich auch schon Geld bekommen, obwohl ich natürlich keinen Hut hingestellt hatte. Wenn mich hin und wieder Leute ansprechen, kommen die üblichen Fragen (meist werde ich geduzt – man merkt schon, allzu seriös nimmt man Jongleure nicht wahr) wie „Warum machst du das?“, „Wie lange machst du das schon?“, „Mit wie vielen Bällen kannst du jonglieren?“ oder auch der Kommentar „Ich kanns nur/ nicht mal mit zwei/drei“ - als ob ich danach gefragt hätte. Oder auch die Bitte, ob man es selber mal probieren dürfe. Zwischenzeitlich lehne ich diese manchmal ab. So hart dies klingt, aber ich will mein konzentriertes Training nicht für einen Mini-Workshop unterbrechen und wenn ich fremde Leute fragen würde, ob ich mal kurz ihr Studienmaterial nutzen kann, würden diese auch stutzig werden.

Am originellsten fand ich die Frage einer Studentin, ob wie Jongleure eine Sekte seien – auch wenn diese vermutlich nicht ganz ernst gemeint war, hat sie mich zu einem Lied inspiriert, für das es sogar ein Musikvideo gibt.

Apropos Musik: Am schlimmsten ist es, wenn es jemand lustig findet, zu meiner Jonglage das bekannte Zirkusthema zu summen.

Gerne kommt auch die Frage: „Woher kannst du das?/Wo hast du das gelernt?“ Das ist eine durchaus berechtigte Frage, die ich später beantworten möchte. Doch zunächst will ich mit dem Vorurteil aufräumen, dass es vor allem auf Talent ankäme. Wie bei so vielen Dingen sind hier neben einer gesunden körperlichen Grundkonstitution vor allem zwei Dinge entscheidend: Motivation und Vorgehen. Zur Motivation muss ich nicht viel sagen. Unter Vorgehen fasse ich die Häufigkeit, Intensität und Qualität des Trainings zusammen, die Kunst der Selbstbeobachtung, den methodischen Aufbau und die Wahl von Requisiten, Kleidung und Ort. Letztlich gehört auch die Einstellung dazu, die Haltung zum und beim Jonglieren. Es gibt insofern Startunterschiede, als dass manche Leute etwa durch (Ball)sportarten erlernte koordinative Geschicklichkeiten oder auch Reaktionsfähigkeit und Rhythmusgefühl mitbringen, was beim Jonglieren lernen hilft. Es gibt wenige Jongleure, die offensichtlich intuitiv die effizienteste Methode zum Üben anwenden und dadurch sehr schnell vorankommen. Ich kenne persönlich einen jungen Jongleur, der schon nach etwa einem Jahr auf einem Level war, für das ich fünfzehn Jahre mehr oder weniger regelmäßig jongliert habe. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Anthony Gatto, eine lebende Jonglierlegende, der aufgrund günstiger Umstände wie einem Vater als professionellen Lehrer schon als Kind für weltweites Aufsehen sorgte und heute – mit Mitte 40 freiwillig aus dem Jonglierbetrieb ausgeschieden – noch mehrere Weltrekorde hält.

Doch ist dies nur eine, nämlich die sehr technische und leistungsorientierte Seite der Medaille: Wie viele Gegenstände und wie lange bzw. wie lange hast du dafür gebraucht? In einer kapitalistischen Gesellschaft wie unserer verwundert es nicht, dass danach von den meisten Beobachtern zuerst gefragt wird.

Viel interessanter sind die künstlerischen Möglichkeiten, die das Jonglieren bietet. Diese finden wir vor allem in der Bewegung des 'nouveau cirque', des 'Neuen Zirkus', verwirklicht. Hier wird auch Jonglieren modern interpretiert und oft mit Elementen aus Tanz, (physischem) Theater und den visuellen Künsten kombiniert. So kann der Jongleur als nonverbale Sprache Botschaften übermitteln, Geschichten erzählen und Emotionen wecken. Noch mehr Potenzial gibt es dafür in Nummern mit mehreren, interagierenden Jongleuren. Als bekanntestes Paradebeispiel für modernen Zirkus wird oft der Cirque du Soleil genannt, ein Weltunternehmen und von vielen als weltbester Zirkus bezeichnet.

Wahrscheinlich die nervigste und am häufigsten gestellte Frage an mich als Jongleur ist wohl die, ob ich im Zirkus sei. Nur die wenigsten wissen, dass ein Großteil der heutigen Jongleure nicht direkt für einen Wanderzirkus arbeitet, wie man sich das gerne vorstellt. Überhaupt ist mit Wanderzirkussen ja eher die klassische Vorstellung vom Jonglieren verbunden, oft in Form von Tempo-, Clown- oder Vielballjonglage.

Doch die Verwandtschaft des Jonglierens mit anderen artistischen Disziplinen, wie sie auch, aber nicht nur, in Zirkussen vorkommen, ist offensichtlich: Jonglieren kann fast fast überall: auf dem Drahtseil, dem Einrad, der Laufkugel, der Rola Bola, selbst am Trapez. Oder während man selbst etwas auf dem Kopf balanciert.

Die Möglichkeiten des Jonglierens sind unendlich, man ist als Jongleur nie fertig oder perfekt und die Jonglierszene entwickelt sich in den letzten Jahren, auch dank des Internets, rapide weiter.

Nun aber zum Begriff des Artisten: Spricht man im Deutschen von Artist, so bezieht man sich auf einen darstellenden Künstler, der körperliche Geschicklichkeiten vor Publikum zeigt. Gerne verwechselt wird der Begriff des Artisten mit dem des Akrobaten. Die Akrobatik gehört zu den artistischen Disziplinen, ist jedoch nur eine von vielen und abzugrenzen von der Jonglage. In einem Zeitungsartikel wurde ich einmal fälschlicherweise als Akrobat bezeichnet, womit eigentlich Artist gemeint war. Nichtsdestotrotz war es ein schöner Artikel.

Im Englischen ist der Begriff 'Artist' weiter gefasst und meint jede Form von Künstler, also auch Maler, Schauspieler und Dichter – in 'Artist' steckt 'Art', also die Kunst.

Ein Artist ist in meinen Augen eine Person, die körperliche Geschicklichkeit auf künstlerische Weise ausübt und vorführt und damit ein Künstler ist.

Zwischen Jongleuren und Artisten bzw. Künstlern gibt es eine gemeinsame Schnittmenge – nicht jeder Jongleur ist jedoch automatisch Artist und selbstverständlich auch umgekehrt.

So viel zur Begriffsklärung. Nun aber zu meiner persönlichen Situation: Seit ich neun war, (ich weiß, die meisten würden hier ein 'bin' bevorzugen, aber das sehe ich intuitiv nicht ein, da ich nun mal nicht mehr neun bin! Verzeihung, hier kommt der ehemalige Deutschstudent in mir raus) jongliere ich. Angefangen hat alles damit, dass mein Vater mir Tücher und Bälle aus dem Spielwarenladen mitgebracht hat, worauf ich ihm heute noch am meisten dankbar bin. So eine kleine Sache kann lebensentscheidend sein im Nachhinein. In meiner kindlichen Begeisterung warf ich diese in die Luft und gründete kurz darauf meinen ersten Zirkus: Der Zirkus Marabella war ein Nachbarschaftsprojekt, an dem meine Schwester, mein bester Freund und Nachbar und meine damalige Klassenkameradin und Freundin beteiligt waren. Ich war Zirkusdirektor und jonglierte mit zwei Bällen, was der Vater meiner Freundin zu meiner Beschämung kurzerhand mit einem dritten Ball übertraf. Daher kam auch vielleicht auch mein großer Ehrgeiz. Dieses Projekt hielt zwar nur für einen Frühling an, (es gab drei Vorstellungen und es wurden einige D-Mark eingesammelt) jedoch hatte mich von da an das Zirkusfieber gepackt. Mit knapp 14 Jahren, also so gesehen ziemlich spät, trat ich dem Kinder- und Jugendzirkus Fitze Fatze als Teil der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Geislingen bei, wo ich prompt der Älteste und nur einer von zwei Jungen war. Und auch der gleich der beste von wenigen Jongleuren. Dass ich diesem Projekt mehr als elf Jahre und über hundert Vorstellungen treu bleiben würde, hätte ich damals nicht ahnen können. Erst mit 25 Jahren, vor einem knappen Jahr, verließ ich eine Gruppe, in der ich alle Anderen „überlebt“ hatte und als Artist verschiedene Disziplinen erlernte, als Trainer etlichen Kindern das Jonglieren und andere Dinge beibrachte, als Pädagoge so manche Erfahrung machte und als Regisseur Nummern und ganze Programme entwickelte, mit Auftritten in einem großen Zirkuszelt, in der Jahnhalle und in der Rätsche. Währenddessen machte ich 2010 am Michelberggymnasium mein Abitur, absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr mit Autistinnen und Autisten (nicht zu verwechseln mit Artisten – sprachlich trennt beide nur ein Buchstabe, inhaltlich manchmal Welten!) und studierte ganze fünf Jahre Deutsch und Philosophie/Ethik auf Gymnasiallehramt bis hin zu meinem Ersten Staatsexamen. Nebenbei machte ich über dreieinhalb Jahre hinweg Erfahrungen in erster Linie als Artist, aber auch als Trainer eines Stuttgarter Jugendzirkus, mit dem ich im ehrenvollen Friedrichsbau Varieté Stuttgart auftreten durfte, wo selbst der ehrenvolle oben erwähnte Anthony Gatto schon vor mit gastierte und jonglierte.

Auf Lehramt studierte ich einerseits, weil ich mich durchaus befähigt fühlte zu unterrichten, andererseits weil mir nichts Besseres einfiel und ich mir nichts Ungewohnteres zutraute im Jahr 2011 – ich glaube, so geht es nicht wenigen Lehramtsstudenten. Es gibt viele Fälle von Menschen aus dem Unterhaltungssektor, die ursprünglich auf Lehramt studiert haben.

Etwa seit 2014 habe ich dann anhand lebender Beispiele und besuchter Jonglierconventions immer mehr realisiert, dass und wie Artist durchaus ein auch für mich denkbarer Beruf ist. Dazu muss ich eine reizende Anekdote loswerden: Meine 12-jährige Nichte meinte vor einiger Zeit zu mir mit vollem Ernst: „Jongleur ist kein Beruf!“. Damit lieferte sie mir einen Gag für kommende Auftritte, der noch eine unerwartete zweite, viel größere Pointe birgt. Denn als ich meine Nichte fragte, was sie für berufliche Vorstellungen hat, meinte sie: „Ich werde Youtuberin.“ Kann man es mir übel nehmen, dass ich dieses Gespräch als erheiternde Anekdote hier und bei meinen Auftritten erzähle?

Jedenfalls ist ein Vergleich zwischen Jongleuren (also solchen, die zugleich Artisten sind) und professionellen Youtubern (die ja mit viel gutem Willen manchmal auch eine Art Kunst betreiben?) gar nicht so abwegig: Man ist abhängig vom Publikum sowie von Leuten, die einen buchen bzw. die einen dafür bezahlen, dass man Produkte in die Kamera hält. Außerdem dauert es unter Umständen eine Weile zum Erfolg und es gibt kein festes, regelmäßiges Gehalt. Beides sind eher exotische Berufe, die die meisten Eltern ihren Kindern nicht nahelegen würden. Und man braucht für beides Entertainer-Qualitäten oder zumindest irgendwas Interessantes. Schminktipps bzw. Jongliertricks allein reichen nicht, aber das wird meine Nichte mit zunehmender Reife sicherlich noch begreifen.

Überhaupt ist es so eine Sache mit der Akzeptanz. Davon können alle ein Liedchen singen, die gesellschaftlich wenig oder nicht akzeptierte Berufswege eingeschlagen haben, erst Recht wenn es dafür keine familiären Voraussetzungen gibt wie in einer Künstlerfamilie.

Zunächst schlägt einem ein interessanter Mix entgegen: In meinem Fall dann, als ich Anderen meine Entscheidung verkündete, hauptberuflich nicht Lehrer, sondern Artist, Jongleur, Künstler werden zu wollen. Manche halten und hielten mich für naiv, andere rieten mir mit Sicherheits- und Geldargumenten dringend davon ab (als ob ich das alles nicht für mich selbst schon durchdacht hätte), von Manchen bewunderten mich für diese mutige Entscheidung. Kurz gesagt: Die Reaktionen verraten viel über die Menschen, von denen sie kommen. Meist steckt einfach Unwissenheit dahinter. Denn unter Profijongleuren können sich viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, nicht viel mehr vorstellen als Artisten in Wanderzirkussen. Und sicher gehört Mut zu so einer Entscheidung und absolute Entschlossenheit. Aber ich handle nach der Maxime: Man bereut später die Dinge mehr, die man nicht getan oder nicht einmal wenigstens versucht hat, als die, die man getan hat. Ich weiß: Wenn ich es nicht jetzt versuche, bereue ich es später.

In den letzten drei Jahren habe ich also mehr an Solonummern und mittlerweile auch kleinen Programmen gearbeitet, zwischenzeitlich auch mit einer Jonglierpartnerin, und habe Erfahrungen gesammelt bei Offenen Bühnen, auf Benefizveranstaltungen und schließlich auch Geld verdient mit reiner Straßenkunst, auf Festivals und Märkten wie zuletzt dem Geislinger Weihnachtsmarkt, wo es manchmal neben dem Hutgeld noch einen mehr oder weniger guten Zuschuss vom Veranstalter gibt und zuletzt auch über gebuchte Engagements mit Gage. Nebenbei verdiene ich mir etwas Geld als Zirkustrainer hinzu. Ich bilde mich fort in Form von auch mehrtägigen Jonglier- und Straßenkunstworkshops und durch den Austausch mit anderen Jongleuren und Artisten, durch das Studium und die Analyse von Auftrittsvideos der besten Profis meines Gebiets und werde seit Kurzem von einem Profi-Artisten auf meinem Weg beraten und geleitet. Zusammen mit viel Selbstdisziplin und täglichem Arbeiten will ich es auch ohne den Besuch einer Zirkus- bzw. Artistenschule schaffen, mittelfristig meinen Lebensunterhalt durch mein künstlerisches Schaffen zu finanzieren und damit mir selbst, aber auch allen Zweiflern um mich herum beweisen, dass es möglich ist, diesen wie auch viele andere Träume zu verwirklichen, wenn man nur mit der richtigen Einstellung und lange genug dafür arbeitet. Denn wie Albert Schweitzer treffend feststellte: „Die größte Entscheidung deines Lebens liegt darin, dass du dein Leben ändern kannst, indem du deine Geisteshaltung änderst.“

Ich gebe zu: Ohne die Gutheißung und finanzielle Unterstützung durch meine Eltern und Oma wäre das alles viel schwieriger umzusetzen. Ich stehe auch erst am Anfang meiner Entwicklung hin zum professionellen Artisten und bin noch auf der Suche nach der richtigen Persona, dem Bühnencharakter für meine erste Nummer auf Profi-Niveau, die Zuschauer auch emotional berühren soll, und auch das Fernziel, ein abendfüllendes Soloprogramm für Kleinkunstbühnen, ist eben noch ein Fernziel. Doch es fühlt sich gut an, nach den letzten Jahren des Lehramtsstudiums nun endlich richtig abgebogen zu sein im Leben und mit Entschlossenheit die richtige Richtung anzusteuern, wenngleich das Ziel noch im Nebel liegt. Aber träumen darf ich von Auftritten in Varietés, großen Zirkussen vielleicht, wenn es passt sogar beim Cirque du Soleil, sowie einer Tour mit meinem Soloprogramm.

Doch zunächst mache ich viele Auftritte mit Straßencharakter, ob bei Veranstaltungen oder direkt auf der Straße. An dieser Stelle möchte ich angehen gegen die in Deutschland leider oft geringschätzende Haltung gegenüber Straßenkünstlern. Manche Leute stellen diese in eine Ecke mit Bettlern, was überhaupt nicht zusammen passt. Denn gute Straßenkünstler geben Passanten unerwartet ein Stück Kunst und Kultur, reißen sie aus dem (Shopping-)alltag und bereichern Tag und Geist. Und auch Anfängern sollte man eine Chance geben zu wachsen, denn die Straße ist die beste Schule. In Frankreich und Italien weiß man das mehr zu schätzen. Auch der moderne Zirkus- und Varietébetrieb wird gerade in Frankreich viel besser angesehen und staatlich gefördert, anders als in Deutschland, wo er ein Schattendasein führt hinter Film, Theater und Oper und leider nicht nicht als Kunstform anerkannt, sondern lediglich als Unterhaltung gesehen wird.

Künstler zu sein ist für mich, wie nun sicherlich klar ist, nicht einfach nur ein Beruf, sondern eine Berufung, und zugleich eine Lebenseinstellung, gewissermaßen als Lebenskünstler. Das Geld verdienen zum Lebensunterhalt ist nur ein, wenngleich wichtiger Aspekt davon.

Nun ist mein Blogbeitrag um ein Vielfaches länger geworden als ursprünglich vermutet und ich kann es keinem übel nehmen, der in Internetzeiten nicht bis hierher gekommen ist, jedoch kam ich in einen meiner seltenen Schreibräusche, der mir half, meine Gedanken zu sortieren und meine vielen Anliegen zum Ausdruck zu bringen.

In Zukunft werde ich in unregelmäßigen Abständen aus meinem Künstlerleben berichten.

Gerne würde ich eure (als Jongleur verwende ich einfach mal das 'Du') Reaktionen auf diesen langen Text erfahren. Zeigt mir doch in Form eines Kommentars, was ihr davon haltet. Auch Fragen beantworte ich selbstverständlich gerne, so lange es nicht solche der oben schon genannten sind ;)

Wer bis hierher gekommen ist, wird vielleicht mal auf folgenden Seiten vorbei schauen wollen:

www.chris-blessing.de Meine Website

Mein Youtube-Kanal

https://www.facebook.com/chris.blessing.kuenstler/ Meine Facebook-Künstlerseite. Lasst mir einen Like da! ;)

Über konstruktives Feedback freue ich mich selbstverständlich!


In diesem Sinne wünsche ich euch noch schöne Weihnachtstage, einen guten Rutsch ins Jahr 2017 und dass ihr dann auch euren Vorsätze und Zielen näher kommt!
Bis dann,
Chris Blessing

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Chris Blessing
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