Künstler-Alltag

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Hier bin ich auf dem Dachboden zu sehen, der direkt über unserer Wohnung liegt. Ich habe ihn mir als Übungsraum eingerichtet.

Nun bin ich also seit dreieinhalb Monaten hauptberuflich Künstler, Artist. Der Vater meiner Freundin beschrieb kürzlich die Phase, in der ich mich gerade befinde, als Existenzgründung. Im Grunde trifft es das ganz gut: Die vorangegangenen Aufgaben des Studiums liegen hinter mir, doch noch bin ich längst nicht ausgebucht. Gerade jetzt im Winter gibt es nur wenige Auftritte. So gut wie meine gesamte Zeit gehört mir – wie ich es seit Langem wollte. Doch diese Chance ist zugleich eine Herausforderung – an meine Disziplin, mein Durchhaltevermögen, meine Stamina.

Denn wie mein erfahrener Mentor aus Paris immer wieder betont: „The most important is the mindset!“ Auf eine gute Geisteshaltung kommt es also an – nicht nur als Künstler.

Niemand kontrolliert wirklich, wie und ob ich meine Zeit nutze in diesen Wintermonaten. Manchmal läuft es einfach, dann jongliere ich stundenlang am Tag, habe Spaß und Ideen, spüre den stets erwünschten Flow und weiß, dass ich in die richtige Richtung gehe, sehe die nächsten Ziele schon vor mir. Oft ist alles bei Sonnenschein leichter – da geht es mir wie vielen anderen auch.

Und andersrum, gerade an trüben, kalten Wintertagen, gibt es Phasen, wo ich schwer aus dem Bett komme, ich nicht präsent da bin beim Üben und wenig inspiriert. Wo ich mehr Zeit auf dem Sofa verbringe, mit Laptop und Büchern, als mit dem Jonglieren. In diesen Momenten merke ich deutlich, welcher Nachteil es sein kann, nicht mehr nur nach Lust und Laune üben zu dürfen, wie zu Zeiten, als Jonglieren noch ein Hobby war.

Es hilft mir, genau aufzuschreiben, was ich wann machen will, meinen sonst losen Alltag zu strukturieren. Dafür plane ich sonntagabends die kommende Woche, jeden Vormittag, Nachmittag und Abend. Ich lege Übungsstunden fest, bestimme, wann ich Sport treibe und was Ziele und Prioritäten sind sowie meine To-Dos. Ein bisschen wirkt das Lehramtsstudium vielleicht noch nach, wenn ich meine Häkchen und Kreuze setze und mich selbst überprüfe, sogar benote.

Es ist wie eine innere Instanz, eine Art Über-Ich im Freudschen Schema, dass das Es kontrollieren soll. Auf der anderen Seite kann man gerade in künstlerischen Prozessen nicht alles planen, zu viel Planung lässt wenig Luft für Kreativität. In den letzten Monaten ging es für mich im Wesentlichen darum, einen Rhythmus, eine Struktur zu finden, mit der ich meinen Alltag organisiere.

Ohne zu ehrgeizig oder streng zu sein, muss ich gut reflektieren können, ob und wie ich vorankomme und lerne dabei mich selbst immer besser kennen. Mit 70 oder 80% Energie zu arbeiten reichte im Studium meist locker um durchzukommen, als freier Künstler komme ich so kaum voran. Hier fordere ich von mir 100%, so oft wie möglich. Ganz nach dem Motto „no excuses“ - denn es gibt genug Künstler, die von ihrer Leidenschaft nicht leben können – Illusionen mache ich mir keine. Daher ist es umso wichtiger, wirklich gut sein und werden zu wollen und klug zu handeln bei Entwicklung und Vermarktung des eigenen Programms und Profils.


An Tagen ohne feste Termine, die also voll zu meiner Verfügung stehen, versuche ich, oft erfolgreich, drei Stunden oder mehr zu jonglieren – sei es mit dem Proben von Nummern, dem reinen Techniktraining oder dem Erlernen und Einüben verschiedener Tricks. Dazu brauche ich immer wieder Zeit für Organisatorisches: Meine Finanzen und Versicherungen regeln, nach Auftrittsmöglichkeiten suchen, meine Internetpräsenz pflegen und von anderen Artisten und Künstlern lernen, indem ich das Web als Fundgrube nutze. Die intellektuelle Bildung mit Büchern, Zeitschriften und Zeitung darf auch nicht fehlen. Und um mich körperlich und mental fit zu halten, sind gesunde Ernährung und tägliche Sportübungen wie Kraftsport, Yoga sowie regelmäßiges Joggen hilfreich und tun gut. Natürlich gönne ich mir dann auch halbe Tage oder Abende mit Freundin und/oder Freunden, in Kino, Sauna oder bei Ausflügen, sowie Familienbesuche.

Alles in allem versuche ich, etwa sechs Stunden eines normalen Tages für meine Künstlersachen zu nutzen. Diese Übergangsphase, in der ich mich befinde, wird noch eine Weile andauern und ist extrem wichtig als Fundament und Voraussetzung für meine spätere Existenz als Künstler.

Dennoch gibt es Leute, die die unwissende Ansicht vertreten, ich mache zur Zeit „nichts“, weil ich keinen geregelten Beruf ausübe und nicht täglich zur Arbeit gehe. Solchen Menschen muss ich mit Humor begegnen – oder Texten wie diesem.
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Chris Blessing
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