Gegen den Kuschelkurs der Politik

Anhang anzeigen 2091 Seit zwei Jahren gehört Holger Schrag für "Junges Geislingen/Die Linke" dem Geislinger Gemeinderat an. Er will Transparenz, mehr Bürgerbeteiligung und möchte die Jugend für Kommunalpolitik begeistern.

"Politik ist ein Kompromissgeschäft", sagt Holger Schrag. Das habe er als Stadtrat lernen müssen. Seit 2009 sitzt er im Geislinger Gemeinderat. Manchmal unbequem und streitlustig, eckt er gern an, wenn es um die "Sache" geht, um die Belange der Kinder und Jugendlichen. "Man kann nicht nur motzen, sondern muss auch was tun, damit sich die Dinge verändern", betont der 36-Jährige.

Holger Schrag ist vielseitig engagiert und bekannt als einer, der zu seinen Idealen steht, sich nicht verbiegen lässt und die Konfrontation nicht scheut. In seinem bisherigen Leben ging er nie den einfachen, bequemen Weg, suchte lange nach seinem Platz, probierte vieles aus. Schrag wechselte vom MichelbergGymnasium zur Schubart-Realschule, dann zum Wirtschaftsgymnasium, das er ohne Abschluss verließ. Beruflich orientierte sich der gebürtige Altenstädter nach einigem Hin und Her Richtung IT. Er absolvierte eine Ausbildung zum Fachinformatiker und machte sich selbstständig.

Über seinen Zivildienst, den er im Maikäferhäusle ableistete, fand er seine Lebensaufgabe: Perspektiven für Kinder und Jugendliche in der Stadt zu schaffen. Holle, wie er von Freunden genannt wird, engagierte sich im Vorstand dieses Jugendhauses, anschließend mit Leib und Seele im Vorstand des Stadtjugendrings. "Wir haben uns oft mit der Verwaltung, mit dem Gemeinderat anlegen müssen", sagt er schmunzelnd. "Nicht aus Prinzip, sondern weil wir unsere Anliegen durchsetzen wollten."

Politisch fand Schrag seine Heimat zunächst bei den Jusos, dann trat er mit 16 Jahren in die SPD ein. "Im Nachhinein betrachtet, wäre es besser gewesen, ich wäre parteilos geblieben", sinniert der Geislinger. Die SPD war ihm fremd geworden: "Sie war eine super Oppositionspartei, als Regierungspartei hat sie ihre Seele verkauft. Es hat einfach nicht mehr gepasst." Holger Schrag wollte aber in die Kommunalpolitik, wollte auf Augenhöhe mit Entscheidungsträgern verhandeln, wollte mitentscheiden und mitgestalten: "Es geht um unsere Stadt und unsere Zukunft." Als Ehrenamtlicher kämpfe man oft gegen Windmühlen, als Stadtrat habe man mehr Möglichkeiten, Änderungen voranzutreiben.

Ein Verein namens Junges Geislingen entstand, über die Liste: Junges Geislingen/die Linke kam Schrag in den Gemeinderat. Taktisch klug schloss sich der Neuling den zwei Stadträten der Grünen Alternativen Liste (GAL) an: "Von der politischen Einstellung und Flexibilität sind sie uns am nächsten." Die GAL bekam mit drei Mitgliedern Fraktionsstatus. "Es war für beide Seiten ein Gewinn und ein Kompromiss, mit dem alle zufrieden sind", erklärt Schrag.

Lange diskutierten die Mitglieder von Junges Geislingen/die Linke darüber: "Bei uns wird nicht einfach über die Köpfe hinweg entschieden. Transparenz ist alles," betont Schrag. Bis heute treffen sie sich vor jeder Gemeinderatssitzung und den Sitzungen des Technischen Ausschusses und besprechen die Themen und ihre Standpunkte.

Einen Tag, nachdem Schrag in den Gemeinderat gewählt wurde, meldete sich die SPD und stellte klar, dass es nicht im Sinne der Sozialdemokraten wäre, dass ein SPD-Mitglied mit der "Linken" zusammenarbeitet. Die Konsequenz war der Austritt aus der Partei. "Ich wollte nicht mit dem sterbenden Pferd streiten. Ich hätte es viel eher tun sollen."

Die Anfänge als Stadtrat waren nicht einfach. Manchmal müsse er schon sein Temperament zügeln, sagt Schrag lächelnd. "Die vielen Ideen und Vorschläge meiner Liste prallen auf die Realität, die sich Gemeinderat nennt." Schrag hat Verständnis für die angespannte finanzielle Lage der Stadt, sagt aber auch: "Es muss nicht alles Geld kosten. Man kann mit wenig viel verändern." Der Gemeinderat sei aber nicht offen dafür. "Die Lobby ist manchmal schon komisch verteilt", meint er und führt als Beispiel den Feuerwehrbedarfsplan an: "Warum hat die Jugendhilfeplanung nicht ebenfalls eine so starke Lobby? Der Bedarf von Kindern, Jugendlichen und deren Familien ist genauso wichtig für unsere Zukunft, wie eine gute Ausrüstung der Feuerwehr. Manchmal sei er dem Verzweifeln nahe, gesteht Schrag. "Aber auch kleine Erfolge geben mir die Kraft weiterzumachen. Es lohnt sich allemal."

Der Stadtrat sieht sich als Vermittler, möchte kommunalpolitische Inhalte für junge Menschen attraktiv machen. Spannend sei es, als Dolmetscher zu fungieren, das Fachchinesisch in die Jugendsprache zu übersetzen. Die jungen Menschen erreicht Holle über die neuen Medien - über Facebook, Twitter und Blog. Manchmal sogar direkt aus der öffentlichen Gemeinderatssitzung über sein Handy. Generell plädiert er, alle Sitzungen öffentlich zu machen, außer denjenigen, die personelle Entscheidungen auf der Agenda haben. "Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung. Man muss den Leuten mehr Verantwortung geben", dafür setzt sich Schrag ein und versucht immer wieder, die festen Strukturen aufzubrechen und gegen "die Ignoranz des Gemeinderats" zu kämpfen. Der leidenschaftliche Tischtennisspieler wünscht sich mehr Konfrontation und findet "den Kuschelkurs" in der Kommunalpolitik fatal. Lieber nicht Everybodys Darling sein, dafür aber etwas für die anderen erreichen, sagt der Nel Mezzo-Gegner selbstbewusst.

Das Ferienstadt-Urgestein hat auch bei einem weiteren Projekt die Jugend im Blickfeld: Seit Mitte Januar ist die "Stadtwiki" für Geislingen im Netz. Damit möchte er alle Angebote und Wissenswertes über die Stadt bündeln. Aktives Mitmachen ist dabei erwünscht. War ja klar bei Holger Schrag.

Joanna Stolarek, Geislinger Zeitung
Über den Autor
Holger Schrag
Holger Schrag ist selbständiger IT-Dienstleister (Fachinformatiker, Jugendmediencoach) und seit der Kommunalwahl 2009 Mitglied des Geislinger Gemeinderats.
2010 gründete Schrag das Stadtwiki Geislingen an der Steige.

Seit März 2016 Vorsitzender des Stadtjugendring Geislingen e.V.

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Holger Schrag
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